Musiktherapie

Die Musiktherapie zählt bei Morbus Parkinson zu den wichtigsten Begleittherapien. Mit gezielter musikalischer Intervention kann nicht nur die Motorik besser synchronisiert werden, sondern auch Stimme, Atmung und das psychische Wohlbefinden werden gezielt gefördert. Eine Tatsache, die sich noch zu wenig bei Betroffenen herumgesprochen hat. Denn Musiktherapie wird erst seit 2016 in der Behandlungsleitlinie der Deutschen Neurologischen Gesellschaft bei Parkinson als mögliche Behandlung gelistet.

Rhythmisches Gangtraining synchronisiert Bewegungen

Babys sind bereits im Alter von zwei Tagen in der Lage, auf rhythmische Muster zu reagieren, was sich im EEG zeigt. Rhythmisches Empfinden ist dem Menschen daher angeboren. Im Kinder- und Erwachsenenalter gehört es zu den selbstverständlichen Fähigkeiten, sich passend zu einer Melodie im Takt zu bewegen. Dabei erfordert diese Empfindung eine komplexe Vernetzung und Zusammenarbeit von verschiedenen Hirnarealen. Damit der Mensch sich passend bewegen kann, muss die Länge der Töne und deren Lautstärke erfasst und gleichzeitig die dazu gehörenden Bewegungen exakt geplant und ausgeführt werden.

Bei Parkinson bestehen Probleme, das Schritttempo und die Schrittlänge dem Rhythmus anzupassen. Hier setzt die Rhythmisch Auditorische Stimulation (RAS) an. Dabei wird perkussive Musik oder ein Metronomschlag genutzt und der Patient bewegt sich im Rhythmus. Es kann an einem insgesamt besseren Gangbild, der Schrittlänge, aber auch dem Armschwung gearbeitet werden. Das Tempo steigert sich entsprechend den individuellen Gegebenheiten. Der Rhythmus hilft den Patienten dabei, ihre Bewegungen insgesamt besser zu synchronisieren, denn aktiviert werden nicht nur die das Hören betreffenden Hirnregionen, sondern auch die in den Basalganglien liegenden motorischen Areale. Diese Gehübungen können zu einer insgesamt besseren Beweglichkeit und Stabilität führen. Das ist auch entscheidend für die Sturzprophylaxe bei Parkinson. Die größere Schrittlänge erlaubt es den Patienten außerdem, schneller aus dem Sitz aufzustehen.

Tanz schenkt Lebensfreude

Eine weitere wichtige Rolle in der Musiktherapie bei Parkinson spielt der Tanz. Indem der Patient sich dem Rhythmus der Musik hingibt, wird der Fokus von den problematischen Bewegungen abgelenkt. So können spontane Bewegungen abgerufen werden, die bei normalen therapeutischen Übungen außerhalb der Möglichkeiten liegen. Im Tanz steckt eine große Chance der Vitalisierung durch das unmittelbare körperliche Erleben. Dadurch werden auch Kräfte im kollektiven Unterbewusstsein frei. Außerdem liegt in der Bewegung beim Tanz ein sozialer und kommunikativer Aspekt. Durch das gemeinsame Tanzen wird eine soziale Isolation verhindert und auch die Partnerschaft kann profitieren, da ein Paar eine weitere Ebene der Interaktion für sich entdecken kann. Schon eine Tanzstunde wöchentlich kann ausreichen, um eine verbesserte Beweglichkeit wahrzunehmen und Ängste zu verlieren, sich mit der Krankheit in der Öffentlichkeit zu zeigen. Zudem können auch Depressionen durch den Tanz verhindert werden. Lebensfreude durch Tanz kann auch dann noch erlangt werden, wenn die Beweglichkeit sehr stark eingeschränkt ist. Spezielle Tanzgruppen bieten Kurse für den Tanz mit dem Rollator oder auch Sitztanz an.

Einfache Integration von Musik in den Alltag als Dopamin für die Ohren

Abseits von einem Tanzkurs oder dem rhythmischen Training wird die Beweglichkeit allgemein durch mehr Integration von Musik in den Alltag gefördert. Eine laute, rhythmisch geprägte Musik erhöht automatisch in jedem Menschen die Bereitschaft zu motorischen Aktivitäten. Besonders die unwillkürlichen Muskeleigenreflexe verbessern sich. In einer Studie in Österreich konnte gezeigt werden, dass 20 Minuten Musikhören bei Parkinsonpatienten ausreichen, um Feinmotorik und Koordination zu verbessern. In der Studie wurde dafür eine perkussive Musik ausgewählt, die sich auf einer emotional neutralen Ebene befand. Hört der Patient hingegen eine Musik an, die Rhythmus mit einer persönlichen Bedeutung kombiniert, wird dieser Effekt intensiviert. Denn das Anhören von Lieblingsmusik erhöht automatisch die Ausschüttung von Dopamin. Dieses Dopamin für die Ohren wirkt übrigens schneller als eine L-Dopa-Tablette. Musik kann daher im Alltag von Betroffenen immer dann eingesetzt werden, wenn die Beweglichkeit stimuliert werden soll. Zum Beispiel, um die Hausarbeit zu erledigen. Rhythmische, akzentuierte Musik kann auch direkt vor dem Aufstehen zur Mobilisierung genutzt werden.

Therapeutisches Singen

Einen Effekt, den Parkinsonpatienten sich ebenfalls zunutze machen können, ist die relativ unklare Grenze von Sprechen und Singen. Im Verlauf der Krankheit wird der Sprachtonfall häufig so monoton, dass Frage und Antwort in der Artikulation nicht mehr klar sind. Interessant ist, dass bei einem Promotionsvorhaben an der Universität Groningen auf Tonaufnahmen der Unterschied zwischen Parkinsonpatienten und Gesunden beim Gesang nicht zu unterscheiden war. Indem therapeutisches Singen praktiziert wird, ist es möglich, Stimme und Atmung zu schulen. Besonders profitiert davon die Koordination von Atem und Stimme, aus der sich eine positive Auswirkung auf das Sprechen ergibt.

Tischharfen fördern Feinmotorik und schaffen Erfolgserlebnisse

Die Feinmotorik lässt sich mit Klavierspiel trainieren. Das Ziel dabei ist es, über die Hörregionen direkt das motorische Zentrum anzuregen. Zudem sorgt der gespielte Ton direkt für ein Feedback der erfolgreich absolvierten Bewegung. Nachteil bei einem Klavier sind die hohen Anschaffungskosten und der relativ lange Weg, ansprechende Musik zu spielen. Mit Tischharfen gelingt der Zugang zur Musik jedoch unmittelbar. Patienten benötigen keinerlei Vorkenntnisse und sind binnen weniger Minuten in der Lage, einfache Lieder zu spielen. Unter die Saiten der Tischharfe wird einfach eine Schablone gelegt und der Patient zupft die dort markierten Stellen an. So kommt es zu einem unmittelbaren Erfolgserlebnis, das sich positiv auf die Stimmung auswirkt. Hinzu tritt der Aspekt des ästhetisch ansprechenden Harfenklangs. Nicht nur das einstimmige Spiel ist auf einer Tischharfe möglich, sondern der Patient kann auch gemeinsam mit dem Therapeuten musizieren. Sehr motivierte Patienten können sich sogar zu einem Harfenensemble zusammenschließen und in der Gruppe gemeinsam musizieren. Das aktive Musizieren hat einen positiven Effekt auf feinmotorische Fähigkeiten im Alltag – Gegenstände lassen sich gut greifen oder es können leichter Schrauben eingedreht werden.

Entspannung mit Klangreisen

Weiterhin besteht die Möglichkeit zur Teilnahme an Einzel- oder Gruppensitzungen, um im gemeinsamen Musizieren nicht nur die Motorik zu trainieren, sondern auch um die Krankheit besser zu verarbeiten, zum Beispiel in der musikalischen Biographiearbeit. Klangreisen mit Klangschalen oder Instrumenten wie dem Monochord oder der Körpertambura tragen dazu bei, eine Basis von Sicherheit zu schaffen, die dem Wohlbefinden und der Stimmung zugutekommt. Wenn in Klang gebadet wird, kann der Körper die Vibrationen sanft auf verschiedenen Ebenen erleben. Feinstofflich werden alle Zellen und Gewebestrukturen erfasst, was entkrampfend, harmonisierend und tief entspannend wirken kann.

Quellen zum Weiterlesen:

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24012774

https://www.spektrum.de/magazin/rhythmus-als-medizin-wie-musik-parkinson-und-schlaganfallpatienten-hilft/1318320

https://www.researchgate.net/publication/323954829_Musik_und_Befindlichkeit_Erste_Ergebnisse_zum_Einsatz_einer_Klangliege_bei_depressiven_Patienten

https://digitalcollection.zhaw.ch/bitstream/11475/494/1/Pasquale_Caterina_Physiotherapie_BA09.pdf

https://link.springer.com/article/10.1007/s001150050225

https://econtent.hogrefe.com/doi/abs/10.1026/0933-6885.17.4.178

https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-0043-122616#N68783

Über den Autor

Sandra Sinsch ist Dipl. Musikpädagogin und Musiktherapeutin mit Studium in Hamburg und Ausbildung in Berlin. Aktuell absolviert sie die Zertifikatsausbildung Musikgeragogik an der FH Münster. Nach langjähriger akademischer Tätigkeit am Staatskonservatorium Istanbul lebt, wo sie sich unter anderem auch mit der klassischen orientalischen Musiktherapie beschäftigt hat, lebt und arbeitet sie heute in Saarlouis. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist das Musizieren mit Tischharfen.

Geschrieben von Sandra Sinsch, Dipl. Musikpädagogin, Musiktherapeutin und Autorin für Parkinson Youngster Februar 2020