Diagnose Parkinson „Meine Mama zittert, weil sie Parkinson hat, das ist normal.“
Quelle: 14.05.2019 Diagnose Parkinson „Meine Mama zittert, weil sie Parkinson hat, das ist normal.“ - openPR
Fotrechte: Poys_MarionKaden
Im Alter von 35 Jahren, sieben Tage vor ihrem 36. Geburtstag, wurde bei Nadine Mattes Parkinson diagnostiziert. Wie sich der Alltag fur die junge Mutter verändert hat, welche Erfahrungen sie machte und wie ihr Leben heute aussieht, erzahlt sie hier.
21 Jahre lang lebte die geburtige Dorstenerin mit dem Zittern, bis diese Phase mit Mitte 30 begann, in der sie bemerkte, dass ihr Korper schleichend immer kraftloser wurde. Ihr ging es korperlich so schlecht, dass sie sich nicht mehr in der Lage fuhlte, ihrer Arbeit in einer Freizeitbad-Kuche und den damit verbundenen korperlichen Anstrengungen nachzugehen. „Korperlich habe ich mich gefuhlt wie 80 Jahre“, sagt sie heute und kundigte daraufhin ihren Job. Das war drei Monate vor der niederschmetternden Diagnose. Ein anderes Vorzeichen deutete sich an, als ihre rechte Hand plotzlich auch im Ruhestand anfing zu zittern, dies war neu fur sie. Unmittelbar vor der Diagnose hatte die junge Frau kaum noch Kraft aufzustehen. Auch das Laufen fiel nur schwer, ihre Glieder waren steif „so als wenn man eine heftige Grippe hat“. Eines Tages konnte sie ihren Arm kaum noch bewegen: „Um es kurz und knapp zu sagen, ich war korperlich am Ende.“
Die Arztgeschichte von Nadine war eine wahre Odyssee. Bereits mit 14 Jahren konsultierte sie das erste Mal einen Neurologen. „Ich werde nie vergessen, wie der Arzt mir die Frage stellte, ob ich am Vorabend eine bekannte Talkshow verfolgt hatte. Ich verneinte, verstand den Zusammenhang nicht und fragte, was das mit meinem Zittern zu tun habe. Er antwortete, dass genau diese Thematik Teil der Sendung gewesen sei und den ganzen Tag schon viele Leute zu ihm gekommen waren, weil sie dachten, ihr Zittern habe gesundheitliche Ursachen.” Und weiter meinte er „Der eine zittert mehr der andere etwas weniger, du halt etwas mehr.“ Das war seine Diagnose, es gabe keinen Grund zur Sorge.
Bis zu ihrer ‚richtigen‘ Diagnose musste sie unzahlige Neurologen aufsuchen, nur um immer wieder dieselben Satze zu horen: ‚Sie sind zu sehr im Stress, …Sie mussen ruhiger werden, …das ist normal.‘ Geholfen hat ihr niemand, außer ihrer hochengagierten und stets besorgten Hausarztin, die ihre Symptome Ernst nahm und sie fur die korrekte Diagnosestellung immer wieder zu anderen Neurologen uberwies, bis sie schlussendlich in eine Klinik kam, in der eine nuklearmedizinische Untersuchungsmethode zur Darstellung spezieller Neurotransmitter-Transporter im Gehirn durchgeführt wurde. Dort bekam Nadine ihre Diagnose – schwarz auf weiß: Es war tatsachlich Parkinson.
Der Moment der Diagnose
Die Besprechung des Ergebnisses wurde in einen kleinen Raum durchgefuhrt. Nadine machte sich damals nicht allzu große Sorgen, dachte nicht, dass diese Untersuchung etwas Neues ergeben wurde. Die Arztin legte ihr ein Blatt auf den Tisch und erklarte sachlich die Aufnahmen. Sie teilte ihr kurz und knapp mit, dass sie Parkinson habe. Vollig uberfordert von dem Gesagten, stellte Nadine Fragen, brauchte Antworten, erhielt aber keine. Die Arztin schickte sie weg und teilte ihr mit, dass sie all dies mit einem Neurologen klaren musste.
„Das war fur mich, als wurde das Leben stillstehen. Ich wusste nicht mehr was ich tun sollte und war total verzweifelt.“ Sie meldete sich bei einer ihr bekannten Parkinson-Station in Rechlinghausen, noch in der Hoffnung, man wurde dort den Befund als fehlerhaft entlarven. Zwei Tage spater wurde sie dort, im Klinikum Vest, stationar aufgenommen. Aber auch hier verifizierte sich die schlechte Nachricht. Die junge Frau wollte nichts davon wissen, hatte Angst. „Man sagte mir was von zehn Jahren, so lange konne man mir mit den Medikamenten helfen. Ich habe nicht daruber nachgedacht, dass ich dann erst 45 Jahre bin. Mein erster Gedanke war meine 9-jahrige Tochter Rachel, sie braucht doch ihre Mama.“
Als ihre Arzte sie uber Nebenwirkungen wie Impulskontrollstorungen und Suchte aufklarten, wuchsen ihre Sorgen nur. In der ersten Woche im Krankenhaus schottete sie sich komplett ab, wollte nicht noch mehr angstigende Informationen erhalten, nichts googeln, nichts horen, nicht erfahren was auf sie zu kommt. Auch ihre Tochter konnte sie zu dem Zeitpunkt nicht sehen, weil sie Angst davor hatte, ihr erklaren zu mussen wie unheilbar krank sie ist.
Nach dieser ersten furchtbaren Woche ging es Nadine aber besser: korperlich und seelisch. Zum einen hatte sie eine gleichaltrige Bettnachbarin, mit der sie viel lachen konnte, zum anderen ein tolles Team im Krankenhaus, dass sich immer wieder die Zeit nahm, all ihre Fragen zu beantworten.
Nun war sie auch soweit, ihre Tochter wieder empfangen zu konnen. Mit Hilfe eines Buches erklarte sie ihr, dass sie Parkinson hat und was das bedeutet. Rachel nahm das sehr gut auf und Nadine glaubt, fur sie hat das Kind einfach einen anderen Namen bekommen, denn sie kennt ihre Mutter nur mit Zittern. Ihre Tochter hatte und hat auch heute nie Probleme mit den außerlichen Erscheinungsformen der Krankheit. Bezuglich Nadines Diagnose, ist die Gymnasiastin auch in der Öffentlichkeit immer taff gewesen. Die stolze Mutter erinnert sich noch genau an eine Situation nach der Diagnose. Rachel und sie machten eine Mutter-Kind-Kur. Als sie gerade beim gemeinsamen Mutter-Kind-Turnen waren, sagten plotzlich mehrere Kinder: „Guck mal die zittert ja total“ und zeigten dabei auf Nadine. Ihre Tochter schaute sich das eine Weile an um dann plotzlich aufzustehen und laut zu entgegnen: „Meine Mama zittert, weil sie Parkinson hat, das ist normal“.
Ihr neues Leben
Das Leben von Nadine hat sich nach der Diagnose von Grund auf verändert. Nachdem sie realisierte, dass sie eine Diagnose erhalten hatte, an der sie nichts andern konnte, fing sie an, diese anzunehmen und fand auch ihren Lebensmut wieder – Dank ihres unterstutzenden Umfelds . Gerade ihre Eltern stellten eine große Stutze dar. Ohne sie waren viele Dinge nur mit großem Mehraufwand moglich gewesen, wie unter anderem die langen Autofahrten zu den Kliniken nach Bochum oder Lubeck.
Acht Monate nach der Diagnosestellung verbrachte die junge Frau einen sechswochigen Aufenthalt in einer Reha-Klinik in Baden-Wurttembergischen Gaillingen. Dort hatte sie die Moglichkeit sich zu ordnen, in Ruhe daruber nachzudenken, in welche Richtung ihr Leben nun weiter verlaufen sollte und fasste einen Entschluss. Alles, was ihr nicht guttut, musste sie aus ihrem Leben verbannen. So entschloss sie sich unter anderem zu einem großen Schritt: Nach 16 Jahren Ehe trennte sie sich von ihrem Partner. Sie wollte noch mal ganz von vorne anfangen und sich dabei nur auf Dinge fokussieren, die gut fur sie waren. Korperlich waren die ersten Wochen in der Reha sehr anstrengend fur sie. Sie schaffte es kaum aus dem Bett, hatte immer wieder Off-Phasen, das sind jene Phasen, in denen Antiparkinson-Medikamente keine Wirkung zeigen (siehe auch Kasten Motorische Komplikationen). Ihre Medikamente wurden noch einmal umgestellt, unter anderem erhielt sie einen neuen modernen COMT-Hemmer, die Medikamente die seit dem Tag der Diagnose einnahm (Agonist und Levodopa) wurden beibehalten, aber hoher dosiert.
Zum Ende des Aufenthalts fuhlte sie sich wie ein neuer Mensch: „Ich bin damals in Gaillingen auf allen Vieren hingekommen und auf High Heels wieder herausgegangen.“ Sie spurte, es war an der Zeit, das Leben wieder zu leben. Im April 2018 hatte Nadine dann endlich das Gefuhl mit der Umstellung des COMT-Hemmers richtig eingestellt zu sein. Sie bemerkte mittlerweile, wann ihre Off-Phasen einsetzten und konnte somit rechtzeitig entgegensteuern.
Mittlerweile hat sich auch privat viel getan: Nadine fuhrt wieder eine partnerschaftliche Beziehung, die ihr sehr gut tut. Ihre Freunde sind immer noch an ihrer Seite und haben sie seit Tag eins der Diagnose immer sehr unterstutzt. Auch bei dem Entschluss, privat noch einmal von vorne anzufangen, waren sie, sowie ihre Eltern, diejenigen die ihre Entscheidung unterstutzten. „Ich weiß, dass ich mittlerweile ein Netz habe, auf das ich mich zu 100% verlassen kann. Und das ist wichtig, denn ich bin auf Unterstutzung angewiesen, gerade fur meine Tochter Rachel muss gesorgt sein. Hier sind meine Eltern immer da, zu jeder Tages- und Nachtzeit.“
Eine ihrer Freundinnen bewegte sie dazu, die Selbsthilfegruppe Parkinson Youngster zu grunden, mit dem Ziel, einen Informationsaustausch mit anderen Betroffenen zu ermoglichen und eine mentale Stutze fur all die Fragen von Betroffenen und Angehorigen zu geben. So entstand im Februar 2018 Parkinson Youngster. Schon langst ist es nicht mehr nur eine Selbsthilfegruppe, es sind wahre Freundschaften daraus entstanden. „Im Allgemeinen kann ich sagen, dass ich seit der Diagnose keine Freunde verloren habe, sondern nur neue gewonnen.“, schwarmt sie.
Auch hat sie zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber, dem stadtischen Baderbetrieb Kontakt aufgenommen und hier einen Unterstutzer gefunden. Inzwischen wird dort neurologischer Reha-Sport angeboten und der Baderbetrieb hilft bei den verschiedenen Veranstaltungen und Festen des Vereins. Ein weiterer Kooperationspartner stellt das Team von ‚Buch Dopamin‘ dar. Hier ist Nadine als Autorin tatig, was fur sie auch einen therapeutischen Wert hat. Die Kliniken Vest in Recklinghausen und St. Josef in Bochum und Essen unterstutzen den Verein kompetent bei medizinischen Fragen.
Nadine ist eine Frau, die zeigt, wie viel Kraft man aus solch einem Schicksalsschlag ziehen und wie viel Gutes daraus erschaffen kann. In die Zukunft schaut sie optimistisch, ihre Ziele sind bescheiden: Sie mochte ihr neues Leben einfach weiter genießen konnen. Die Diagnose Parkinson hat ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt. Und das, so kann sie heute, ein Jahr nach der Diagnose, sagen, zum Positiven. Es ist fur sie wie ein neuer Start ins Leben. Dank der richtigen Medikamenteneinstellung ist sie nun das allererste Mal nach 23 Jahren „tremorfrei“, also zitterfrei und das uber Stunden hinweg. Ihre positive Einstellung will sie an so viele Betroffene wie moglich weitergeben. Das soll vor allem mit Hilfe von Parkinson Youngster geschehen. Vom 1. bis zum 9. September organisiert der Verein ein Selbsthilfecamp für Betroffene und deren Familien, gerade auch für Kinder. „Die Teilnehmer sollen die Möglichkeit haben, ihre Ängste abzubauen, Lebensmut zu fassen und die Lebensqualität zu steigern“, blickt Nadine Mattes in die Zukunft. Unterstützt wird sie bei diesem Projekt von der Hilde-Ulrichs-Stiftung und als Schirmherrn hat die Gründerin und Vorsitzende auch einen prominenten Erkrankten gewinnen können: den Komiker Markus Maria Profitlich.